Akutes Leberversagen und Transplantation – aus dem Nichts

Patientin Manuela
1972

(Keine) Vorgeschichte

Bis 2020 kannte ich ausser vereinzelten Erkältungen im Winter keinerlei gesundheitliche Probleme. Ich konnte mich auf mein gutes Immunsystem verlassen und musste nie Medikamente nehmen. Antibiotika wurden mir ein einziges Mal im Leben verschrieben – von einem Zahnarzt gegen eine entzündete Tasche im Zahnfleisch. Die Behandlung hat sofort angeschlagen. Auch Beschwerden im Verdauungstrakt waren mir fremd. Ich hatte noch nie eine Magen-Darm-Grippe oder eine Blasenentzündung. Spitäler kannte ich nur als Besucherin, nicht als Patientin.

Krankheitsgeschichte

Anfang 2020 fühlte ich mich plötzlich unwohl und sehr müde. Ich ging davon aus, dass ich nun doch mal ein Grippevirus eingefangen hatte und legte mich ins Bett. Als die Beschwerden nach mehreren Tagen immer noch nicht abflauten und sich ausserdem meine Augäpfel gelblich verfärbten, beschloss ich, am nächsten Tag Telmed anzurufen und mich beraten zu lassen. Das von mir gewählte Krankenversicherungsmodell sah dies so vor, und ich hatte aufgrund meiner bisherigen guten Gesundheit keinen Hausarzt. Grosse Sorgen machte ich mir immer noch nicht, obwohl ich wusste, dass Gelbsucht oft auf Leberprobleme zurückzuführen ist. Das konnte ich mir aber bei mir schlicht nicht vorstellen, denn schliesslich hatte ich mich immer gern bewegt, nie geraucht, nur wenig Alkohol getrunken, einigermassen vernünftig gegessen und keine Medikamente geschluckt.

Zum Anruf bei der Krankenkasse kam es nicht mehr. Ich brach am nächsten Morgen einfach im Flur zusammen und schlug mir die Stirn an einem Möbelstück auf. Ich kam sofort wieder zu mir, aber die klaffende Wunde wollte nicht mehr zu bluten aufhören, und zum ersten Mal erlebte ich meinen sonst so ruhigen und gelassenen Lebenspartner ausser Fassung. Ich wurde von der Ambulanz mit einem Druckverband am Kopf ins nahe Waidspital eingeliefert. Dort wurde dann festgestellt, dass die Wunde, die sich einfach nähen liess, mein kleinstes Problem ist. Ich hatte ganz schlechte Blutwerte; meine Leber musste schwer geschädigt sein. Das war auch der Grund für die fast nicht zu stillende Blutung: Die Leber ist unter anderem an der Blutgerinnung beteiligt.

Es folgte eine ganze Reihe von Untersuchungen, zuerst am Waidspital, dann am Unispital Zürich. Die Ärzte fanden aber nicht heraus, was genau zum Leberversagen geführt hatte. Nach dem Ausschlussverfahren gingen sie schliesslich von einer Autoimmunhepatitis aus. Dass mein Fall speziell ist, realisierte ich schon am ersten Morgen im Waidspital. Ich war wach, normal ansprechbar und frühstückte, blieb aber auf der IPS, wo mich eine Armada von Ärzten auf Morgenvisite umringte und wie ein seltenes Tier im Zoo beobachtete. Ich begriff, dass es mit Werten wie meinen wohl nicht normal ist, bei vollem Bewusstsein zu sein und umhergehen zu können. Und erst recht nicht zu essen.

Nach der Verlegung ins Unispital wurde bald klar, dass nur eine Lebertransplantation mein Leben retten kann. Der Chirurg, der diesen Eingriff leiten würde, kam an mein Bett und fragte mich, ob ich mir eine Transplantation vorstellen könnte. «Nein», entgegnete ich. «Ich will mein gutes Immunsystem nicht kaputt machen müssen.» Dabei dachte ich an die immunsuppressiven Medikamente, die, wie ich bereits wusste, nach einer Transplantation eingenommen werden müssen, um eine Abstossungsreaktion zu verhindern. Ich sah am Gesichtsausdruck meines Gegenübers, dass er von meiner Antwort überrascht war. Vermutlich hatte er gar nicht mit einer rationalen Antwort gerechnet, da eine unzureichende Entgiftung durch die Leber oft auch das Gehirn beeinträchtigt. Bei mir war das jedoch nur marginal der Fall. Ich war zwar im Denken etwas verlangsamt, hatte aber keine Erinnerungslücken und konnte kommunizieren. Meine Zurechnungsfähigkeit wurde regelmässig getestet – zum Beispiel, indem man mich mitten in der Nacht aufweckte und von mir verlangte, von 100 in 7-er Schritten rückwärts zu zählen. Wie, Zahlen?!? Ich bin doch Linguistin.

Da ich körperlich aber immer schwächer wurde, als Folge des Leberversagens überall Wassereinlagerungen hatte und völlig gelb war – ich sah aus wie ein chinesischer Buddha und war an Armen und Beinen übersät mit Hämatomen von all den Blutentnahmen, Spritzen und Infusionen –, wurde die Transplantation trotzdem unumgänglich. Bei der Verarbeitung dieser Nachricht half mir, dass ich mich schon früher aus Spendersicht mit der Organtransplantation befasst hatte und über einen Spenderausweis verfügte. Da ich bereit war, meine Organe im Todesfall zu spenden, schien es mir vertretbar, auch ein Organ anzunehmen. Zudem ist es gar nicht selbstverständlich, dass ich diese Chance überhaupt erhielt, also sollte ich sie nutzen.

Der Eingriff erfolgte wenige Tage vor meinem nächsten Geburtstag. Ich kann mich nicht daran erinnern, Angst gehabt oder gewartet zu haben. Ich weiss nicht, ob man mich schon im Voraus sediert hat oder ob ich einfach aus Schwäche geschlafen habe. Meine Erinnerung setzt erst nach der OP wieder ein. Ich weiss noch, wie ich immer wieder den auf einem Finger aufgeclipten Blutsauerstoffmesser abgestreift habe, weil er mich gestört hat. Vermutlich habe ich die Pflegefachpersonen damit ziemlich genervt, denn sie haben ihn mir beharrlich immer wieder aufgesetzt. Schmerzen hatte ich dank Schmerzmitteln kaum, aber einen unangenehmen Druck auf den Rippenbögen. Ich war aufgrund der Wassereinlagerungen und des geschwollenen Bauchs völlig unbeweglich und hatte zudem einen höllischen Durst. Da Flüssigkeit von meinem Körper nicht richtig aufgenommen wurde und nur den Aszites verschlimmerte, konnte man mir nur ganz wenig zu trinken geben. Ich erinnere mich an das riesige Glücksgefühl, das ich empfand, wenn ich doch mal einen Becher Sirup oder etwas Eis zum Lutschen erhielt. Und dann kam der Moment, wo ich beim Blick aufs Handy realisierte, dass ich am nächsten Tag Geburtstag habe. Es war definitiv nicht die beste Party meines Lebens, aber ich hatte noch nie ein wertvolleres Geschenk bekommen – und das nicht von Angehörigen oder Freunden, sondern von völlig fremden Menschen: eine neue Leber und damit die Chance weiterzuleben.

Leben danach

Dieser Eingriff liegt jetzt zweieinhalb Jahre zurück. Das Jahr nach der Transplantation war nicht gerade einfach: Ich musste noch mehrere Wochen in die Reha gehen und eine Zeitlang vor jedem Essen Insulin spritzen (erhöhter Blutzucker als Nebenwirkung von Kortison), litt aufgrund eines Gallenstaus monatelang unter mörderischem Juckreiz am ganzen Körper und fand es wenig erhebend, ausgerechnet dann stark immunsupprimiert zu sein, als eine Pandemie mit einem noch unbekannten Virus ausbrach. Ich war wütend, denn ich empfand es als absurd, surreal und ungerecht, trotz eines vernünftigen Lebensstils ein Organ zu verlieren. Manchmal betrachtete ich die Narbe auf meinem Bauch oder die halbe Apotheke in unserem Medikamentenschrank, in dem früher nur Merfen, Bepanthen, Pflaster, eine alte Packung Malaria-Prophylaxe von einer Ferienreise und die Jodtabletten des Bundes zu finden waren, um mich zu vergewissern, dass ich das Ganze nicht nur geträumt hatte.

Mittlerweile geht es mir jedoch wieder so gut, dass ein normales, beschwerdefreies Leben möglich ist. Ich verzichte zwar strikt auf Alkohol, Grapefruits und Granatäpfel (diese Früchte enthalten ein Enzym, das die Immunsuppression aushebeln kann) und muss täglich Medikamente schlucken – im wahrsten Sinne des Wortes eine bittere Pille –, lebe aber sonst wieder wie vorher. Die jetzt noch verbliebenen Medikamente vertrage ich ohne spürbare Nebenwirkungen. Kürzlich bin ich von meiner ersten Auslandreise seit 2019 zurückgekehrt, bewege mich wieder ohne Maske und bin bisher nicht erkrankt, weder an Corona noch an etwas anderem. Ich gehe wieder in natürlichen Gewässern schwimmen und war im Urlaub mit dem Kajak unterwegs – dick eingecremt und mit Surfershirt und Käppi als Sonnenschutz, was aber gut funktioniert hat. In 3 Wochen Südfrankreich bei 30 Grad hatte ich weder mit der Hitze noch mit der Sonne Probleme und keinerlei Anzeichen von Verbrennungen. In blühenden Lavendelfeldern widmete ich mich meinem Hobby, der Landschaftsfotografie, und brachte richtig kitschige Postkartenbilder nach Hause. Das alles stimmt mich zuversichtlich und gibt mir neue Lebensfreude. Ich versuche, möglichst in der Gegenwart zu leben und mir keine Sorgen über die Zukunft zu machen, denn Angst ändert die Zukunft nicht, verdirbt aber die Gegenwart.

2 Kommentare

  1. Veröffentlicht von Hansjörg Madörin am 1. August 2023 um 11:45

    Hallo zusammen,

    ich hatte am 17. Januar eine Lebertransplantation. Gerne würde ich mich mal mit Manuela austauschen, wenn das möglich wäre.
    Besten Dank im Voraus,

    Hansjörg Madörin

    • Veröffentlicht von Carina Bobzin am 31. Oktober 2023 um 14:26

      Sehr geehrter Herr Madörin
      Leider habe ich keinen Eintrag als Mitglied finden können. Bitte melden Sie sich nochmals auf unserer Homepage als Mitglied an. Danke. Bitte rufen Sie mich doch kurz an für Ihre Fragen. Danke 079 852 77 11. Freundliche Grüsse Carina Bobzin

Hinterlassen Sie einen Kommentar